Noch ein Nachtrag zum Bibeldialog zur Freundschaft:
"Im Abschlussgottesdienst war am Tisch des Wortes ein Stuhl frei. Das hatte seinen guten Grund. Der
war nicht frei im Gedächtnis an die kranke Frau, die kurzfristig ihre
Teilnahme absagen musste; auch nicht an die Holländerin, an die wir eine
Karte geschrieben haben, weil sie gar nicht mehr kommen kann. Zwei
Frauen aus Siebenbürgen mussten vorzeitig abreisen und der Künstler mit
den vielen Instrumenten war auch nicht dabei mehr. Alle haben wir ein
bisschen vermisst und meine Gedanken sind an die Bibelwochen mit
Gottfried und Kurt gegangen, die aus der Zeit genommen wurden und die
Ewigkeit bereichern.
Irgendwie
sind sie mit in meinem Denken und Fühlen und wundersame Dankbarkeit
steigt auf, wenn ich an Bewahrung und Fügung denke.
Aus
den Erzählungen der Altvorderen höre ich die Beschreibung der
Tischsitten, wie ein Gedeck mehr bei den Hauptmahlzeiten an Sonn- und
Feiertagen gebracht wurde und wie die dem Hof zugeteilten
Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter selbstverständlich mit am Tisch saßen.
Da bekommt die die Flucht aus Hinterpommern überstandene Familienbibel
eine Dimension der Beständigkeit, die mir erst jetzt bewusst wird, da
die Erzählungen verstummt sind und auch Vater nichts mehr erzählen kann,
weil sein Erdkreis sich vollendet hat. Wie gut, dass ich das Zuhören
genutzt habe.
Mein
Denken und Fühlen kommen zurück in die Runde der Bibelwoche. Ich höre
das Credo der Gruppe und die Fürbitten, die davon sprechen, die
Notleidenden und die Verfolgten nicht zu vergessen. Ich sehe die Kerzen
leuchten auf den bunten Tüchern und spüre den Duft der Lilien zusätzlich
über die Augen hinaus im sicherer Umhüllung mit den Gewächsen vom
Wegrand.
Das
Kreuz inmitten dieser Blicke weist auf die Verheißung hin „Ihr seid
meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch gebiete.“ (Joh.15,14)
Da
wird der Tisch des Wortes zum Tisch des Herrn und die einladenden Worte
zu Brot und Wein verwandeln die Aufmerksamkeit nochmal anders. Beim
Weitergeben des Brot des Lebens und des Kelch des Heils nimmt die Musik
mich mit in die Fragen nach meiner, nach unserer Gastfreundlichkeit. Die
vielen Flüchtlinge finden weder Verständnis noch ein Dach. Dennoch bin
ich dankbar, dass es in unserem Land diese Erfahrungen gab und wir jetzt
zusammen rücken müssen in Beantwortung dieser Herausforderung. Wie
gastfreundlich bin ich eigentlich?
Nehme ich diese wertvolle Erfahrung aus der Tradition auf oder sperre ich mich?
Wie lese ich die Legende, die ich bei Elie Wiesel fand.
Die
jüdische Legende behält von Elia gerade die Züge seiner
wiedergewonnenen Menschlichkeit in Erinnerung: Er ist „Freund und
Gefährte(...) aller, die der Freundschaft, des Trostes und der Hoffnung
entbehren. Dem Zyniker bringt er Gewissheit; dem Wanderer einen Schimmer
von Licht und Wärme. Dem Weisen ist er ein Lehrer; dem Träumer ein
Traum: das ist Elias" (Elie Wiesel).Dazu lese ich: Zum Passafest wird Elia an der Festtafel ein Stuhl freigehalten. Auf dem Weg durch die Passionszeit mag uns diese Geschichte bewegen, uns in unserem eigenen Lebenshaus umzuschauen, zu prüfen, wie wir es uns eingerichtet haben. Haben wir dort einen Platz frei für den Boten der Hoffnung, der Sehnsucht und des Trostes? Denn, wenn der Gast kommt, sollten wir bereit sein, ihm einen Stuhl anbieten zu können, um uns von ihm erzählen zu lassen.
Da ist das Bild wieder, was ich gesucht habe. Zum Ende der Tagung bekomme ich ein Bild von dem Freund der Bibelwoche geschenkt, das den Altar der Marienkirche zu Wittenberg von Lucas Cranach d. Ä. schmückt. „Religion ist Gespräch unter Freunden“ titelt der verschenkende Freund das Blatt. Es ist mehr. Es ist die immerwährende Einladung, die Tischgemeinschaft zu pflegen mit dem, der es jetzt und heute braucht. Einer braucht ein Gespräch, eine andere einen Rock und wir alle brauchen das einladende offene Zelt. Dazu fallen mir die Worte eines Seelsorgers und Arztes ein: Komm in unsre laute Stadt, Herr, mit deines Schweigens Mitte, dass, wer keinen Mut mehr hat, sich von dir die Kraft erbitte für den Weg durch Lärm und Streit hin zu deiner Ewigkeit. Komm in unser festes Haus, der du nackt und ungeborgen. Mach ein leichtes Zelt daraus, das uns deckt kaum bis zum Morgen; denn wer sicher wohnt vergisst, dass er auf dem Weg noch ist.
Da sind die Überlegungen auf 2016 hin : „anders denken – anders fühlen - MUT zum Sein“ und andere Themenvorschläge fest im Blick. Dennoch bleibt die Herausforderung der Gegenwart, die Fragen nach Gerechtigkeit und Frieden im Auge zu haben und die Flüchtlingsströme einzuordnen aus diesen Fragestellungen. Wieviel Platz ist an unseren Tischen?
KD L. Ehmke, 16.8.2015