14. Juli 2020

Mut zur Theorie

*** The English translation will be posted here tomorrow. 
 Der Blogpost heute stammt von Pfarrer Klaus Schilling in Mettmann, der lange Zeit einen unserer beliebtesten Bibeldialoge geleitet hat.  
Die Sommerferien beginnen. In diesem Jahr aus gegebenem Anlass für viele Menschen eher eingeschränkt. Nicht das Reisen in die Ferne, sondern vielleicht das Erkunden der schönen Ausflugsziele im Nahbereich sind angesagt. „Komm, morgen schauen wir uns einmal das an“, heißt es dann, und schnell wird geplant.
Etwas anschauen, das tut dem Menschen gut. Einmal etwas Anderes als die eigenen vier Wände zu sehen, das tut der Seele gut. Schon die alten Griechen wussten darum und nannten dieses Anschauen „Theorie“. Theorie nannten sie das „die Welt anschauen“. Theorie, dieser Begriff ist ursprünglich aus den Worten theos (Gott) und horao (anschauen) gebildet. Die Theoretiker wollten also ursprünglich das Göttliche durch das Anschauen der Welt und ihrer Ordnungen erkennen. Freilich war das für sie nicht einfach nur Zeitvertreib oder Spaß an der Freud´. Nein, das Anschauen der Welt, das Erkennen ihrer Ordnungen und das Wahrnehmen des Göttlichen, sollte dem Leben in der Welt dienen - um des gemeinsamen Lebens in der Welt willen! Sie wussten, was ich anschaue, in mich aufnehme, das wird mein Leben, meine Lebensplanung und meine alltäglichen Lebensvollzüge prägen. Man kann auch sagen: Die Bilder, die wir sehen, bilden uns. Darum ist es nicht egal, was wir uns anschauen, wovon wir uns bilden lassen.
„Ich habe den Herrn allezeit vor Augen“, betete ein Mensch vor langer Zeit (Psalm 16,8). Auch so ein Theoretiker. Aber: Er stellt sich Gott nicht einfach so vor. Er stellt Gott gleichsam vor sich. Um seines Lebens willen sucht er Gott. Wie? Indem er auf die Erfahrungen anderer mit Gott hört, indem er mit ihnen Gott feiert, indem er achtsam die Welt als Schöpfung wahrnimmt und sich an den Menschen in ihrer Vielfalt freut. Ob wir diesem Theoretiker folgen können, folgen wollen?
Die Sommerferien beginnen. Ja, vielleicht müssen unsere Urlaubstage eher im Nahbereich stattfinden. Wo und wie auch immer: Diese Tage bieten immer die Möglichkeit mit Gott auf das eigene Leben zu schauen - eben einmal mit Muße als Theoretiker zu leben.
Pfarrer Klaus Schilling,
Ev.Kirchengemeinde Mettmann

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