27. August 2020

Donnerstags-Gedanken zum Vaterunser

 *** the English translation will be posted here tomorrow. 
„Vater unser im Himmel. Was ist das?"
Vor zwei Wochen habe ich hier Luthers kleinen Katechismus gepostet. Diese Woche will ich anfangen, mir ein paar Gedanken zu den einzelnen Sätzen im Vaterunser zu machen. Und leihe mir dazu als Anregung eine Predigt aus dem Internet. Sie steht in der Predigt-Datenbank und stammt von Pfarrer Wolfgang Gerlach. Die fettgedruckten Passagen stammen aus dieser Predigt oder aus Luthers kleinen Katechismus.
Wenn Luther erklärt, dass wir Gott unseren Vater nennen dürfen, dann heißt das auch, dass wir uns in jedem Fall mit allen unseren Nöten an ihn wenden dürfen. Und wie wir es als Kinder sicher alle irgendwann erlebt haben mit unseren biologischen Eltern: Oft genug wussten Vater oder Mutter schon vor unserer kleinen „Beichte“, was los war. So wie Gott, „euer Vater, weiß, was ihr bedürfet, ehe denn ihr ihn bittet“, aber Gott will, dass wir ihn bitten.
Hier stocke ich. Braucht Gott mein Gebet wirklich? Ist’s nicht umgekehrt? Brauche nicht vielmehr ich das Gebet? Ehe es mir hilft, ver-hilft es mir, meine Wünsche, Fragen, Ängste in Worte zu fassen. Sprache klärt. Das Wort hält mich, es fasst mich zusammen. Beim Gebet ist es nach meiner Überzeugung nicht mit frommen, wortlosen Gefühlen getan. Beten heißt in Sprache fassen, was womöglich bisher noch keine Sprachform gefunden hatte. Beten will ausdrücken, was mich bedrückt und was mich beglückt. (…) Im Gebet lüge ich nicht. Ich mache mir nichts vor, weil ich weiß: Ich kann Gott nichts vormachen.
So wie wir als Kinder immer schon ahnten, dass wir den Eltern am Ende doch nichts vormachen konnten. Das ändert sich oft mit den Jahren. Wir begreifen, dass unsere Eltern gar nicht wirklich hellsehen können, dass wir sie vielleicht sogar anflunkern können, ohne dass sie es merken.
Wenn ich das Vaterunser spreche, stolpere ich nicht manchmal bei einigen der Bitten? Oder ist schon die Anrede Vater unser im Himmel, die heimliche Hoffnung, dass Gott weit weg ist, also gar nicht richtig zuhört, wenn ich z.B. verspreche meinen Schuldigern zu vergeben? Wie ein „rechter Vater“ oder eine rechte Mutter lässt Gott uns alle Freiheit, uns auch von ihm zu entfernen. Ist er vielleicht auch die Mutter, der Vater, die/der auf unseren Anruf wartet? Und geht es uns, wenn wir vor lauter Geschäftigkeit lange nicht gebetet haben, manchmal so wie mit den Eltern oder Großeltern: dass wir den Anruf immer wieder verschieben, weil wir diesen Anruf eben schon so lange verschoben haben und nun nicht wissen, wie anfangen? Fehlen uns da manchmal die ersten Worte? Rufen wir nur an, wenn wir Kummer haben? Oder auch, wenn wir vor Glück fast platzen und unsere Freude mit den Eltern teilen wollen? Und wann und wie sage ich ihnen Danke für all das, was sie für mich getan haben, das mich zu dem Menschen gemacht hat, der ich heute bin?
Wenn mir die Worte fehlen, dann mag ich Zuflucht nehmen in Bewährtes: in Psalmen, in Gebete derer, die vor mir waren. Das Vaterunser kann zum Refugium werden. Denn hier ist alles zusammengefasst, was menschliches Dasein ausmacht. Darum ist es weder Wunder noch Zufall, dass selbst die Menschen, die den Kontakt zu Kirche und Glauben verloren haben, für Notlagen das Vaterunser immer noch parat und präsent haben.

Für das Gespräch mit den Eltern, Großeltern oder Paten, für unser Bitten, Klagen und Danken ist es irgendwann doch zu spät. Und die Worte müssen wir selbst finden. Gott dagegen bleibt mein Vater, meine Mutter im Himmel, weit genug weg, um mich frei sein zu lassen und nah genug, mich jederzeit im Gebet zuzuwenden. Und das Vaterunser schenkt mir die Worte.

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