*** the English translation will be posted here tomorrow.
„Vater unser im Himmel. Was ist das?"
Vor zwei Wochen habe ich hier Luthers kleinen Katechismus
gepostet. Diese Woche will ich anfangen, mir ein paar Gedanken zu den einzelnen
Sätzen im Vaterunser zu machen. Und leihe mir dazu als Anregung eine Predigt
aus dem Internet. Sie steht in der Predigt-Datenbank
und stammt von Pfarrer Wolfgang Gerlach. Die fettgedruckten Passagen
stammen aus dieser Predigt oder aus Luthers kleinen Katechismus.
Wenn Luther erklärt, dass wir Gott unseren Vater nennen
dürfen, dann heißt das auch, dass wir uns in jedem Fall mit allen unseren Nöten
an ihn wenden dürfen. Und wie wir es als Kinder sicher alle irgendwann erlebt
haben mit unseren biologischen Eltern: Oft genug wussten Vater oder Mutter schon
vor unserer kleinen „Beichte“, was los war. So wie Gott, „euer Vater, weiß,
was ihr bedürfet, ehe denn ihr ihn bittet“, aber Gott will, dass wir ihn
bitten.
Hier stocke ich. Braucht Gott mein Gebet wirklich? Ist’s
nicht umgekehrt? Brauche nicht vielmehr ich das Gebet? Ehe es mir hilft,
ver-hilft es mir, meine Wünsche, Fragen, Ängste in Worte zu fassen. Sprache
klärt. Das Wort hält mich, es fasst mich zusammen. Beim Gebet ist es nach
meiner Überzeugung nicht mit frommen, wortlosen Gefühlen getan. Beten heißt in
Sprache fassen, was womöglich bisher noch keine Sprachform gefunden hatte. Beten
will ausdrücken, was mich bedrückt und was mich beglückt. (…) Im Gebet lüge ich
nicht. Ich mache mir nichts vor, weil ich weiß: Ich kann Gott nichts vormachen.
So wie wir als Kinder immer schon ahnten, dass wir den
Eltern am Ende doch nichts vormachen konnten. Das ändert sich oft mit den
Jahren. Wir begreifen, dass unsere Eltern gar nicht wirklich hellsehen können,
dass wir sie vielleicht sogar anflunkern können, ohne dass sie es merken.
Wenn ich das Vaterunser spreche, stolpere ich nicht
manchmal bei einigen der Bitten? Oder ist schon die Anrede Vater unser im
Himmel, die heimliche Hoffnung, dass Gott weit weg ist, also gar nicht richtig
zuhört, wenn ich z.B. verspreche meinen Schuldigern zu vergeben? Wie ein
„rechter Vater“ oder eine rechte Mutter lässt Gott uns alle Freiheit,
uns auch von ihm zu entfernen. Ist er vielleicht auch die Mutter, der Vater, die/der
auf unseren Anruf wartet? Und geht es uns, wenn wir vor lauter Geschäftigkeit
lange nicht gebetet haben, manchmal so wie mit den Eltern oder Großeltern: dass
wir den Anruf immer wieder verschieben, weil wir diesen Anruf eben schon so
lange verschoben haben und nun nicht wissen, wie anfangen? Fehlen uns da manchmal
die ersten Worte? Rufen wir nur an, wenn wir Kummer haben? Oder auch, wenn wir
vor Glück fast platzen und unsere Freude mit den Eltern teilen wollen? Und wann
und wie sage ich ihnen Danke für all das, was sie für mich getan haben, das
mich zu dem Menschen gemacht hat, der ich heute bin?
Wenn mir die Worte
fehlen, dann mag ich Zuflucht nehmen in Bewährtes: in Psalmen, in Gebete derer,
die vor mir waren. Das Vaterunser kann zum Refugium werden. Denn hier ist alles
zusammengefasst, was menschliches Dasein ausmacht. Darum ist es weder Wunder
noch Zufall, dass selbst die Menschen, die den Kontakt zu Kirche und Glauben
verloren haben, für Notlagen das Vaterunser immer noch parat und präsent haben.
Für das Gespräch mit den Eltern, Großeltern oder Paten, für unser
Bitten, Klagen und Danken ist es irgendwann doch zu spät. Und die Worte müssen
wir selbst finden. Gott dagegen bleibt mein Vater, meine Mutter im Himmel, weit
genug weg, um mich frei sein zu lassen und nah genug, mich jederzeit im Gebet zuzuwenden.
Und das Vaterunser schenkt mir die Worte.
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27. August 2020
Donnerstags-Gedanken zum Vaterunser
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