26. Dezember 2021

... Heilige Nacht

 *** Sorry, no English translations this week. I am on vacation for Christmas.

Gestern habe ich den ersten Teil dieser reichhaltigen Predigt zum Lied Stille Nacht mit seiner Entstehungsgeschichte gepostet. Heute nun einiges zur Auslegung der Textzeilen.
Doppeltes Danke, Verena!

Stille Nacht, heilige Nacht …
Stille muss es werden, damit wir endlich die Hektik der Vorweihnachtszeit hinter uns lassen können. Nur in der Stille kann ich mich selbst wahrnehmen, mich selbst finden, sogar mein Herz kann ich pochen hören. Stille, wo gibt es sie noch? Was ist, wenn sogar die Nacht nicht mehr still ist, wenn ich an einer viel befahrenen Kreuzung wohne, in der Einflugschneise eines Flughafens oder nahe den Gleisen der ICE-Strecke? Auch wenn ich mit Rehblick wohne, ist es immer noch möglich, dass die lieben Nachbarn nebenan die Nacht zum Tag machen, laut feiern oder meinen, im 12-stöckigen Mietshaus nach Mitternacht duschen zu müssen. Manchmal reicht es auch, wenn die Rolläden laut herunter gelassen werden. Schon ist vorbei mit der Stille.

Stille brauchen wir alle, um Ruhe zu finden. Nur in der Stille haben wir auch die Möglichkeit, Gott zu suchen und zu finden. Nur in der Stille hören wir ihn sprechen. Die Stille der Nacht sollte uns im eigenen Interesse heilig sein.

Dietrich Bonhoeffer dichtete in seinem Lied „Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar“ weiter: „Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet, so lass uns hören jenen vollen Klang der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet, all deiner Kinder hohen Lobgesang.“ Stille, die behütet und tröstet, Stille die uns die wahren Klänge des Lebens hören lässt, unsichtbar und doch nah, so wie Gott selbst.

Stille Nacht, heilige Nacht, alles schläft, einsam wacht ...

Es ist schon ein seltsames Gefühl, einsam zu wachen. Alles schläft, nur der diensthabende Arzt und die Nachtschwester sind im Bereitschaftszimmer. Der Hochofen im Stahlwerk muss auch nachts auf Temperatur gehalten werden. Die Züge fahren durch die Dunkelheit auch nicht von allein. Gut, dass auch Polizei und Feuerwehr einsam wachen. Wer auf Reisen geht oder einen auswärtigen Termin hat und nachts unterwegs ist, dem ist manchmal schon komisch zumute. Man fragt sich unwillkürlich, wenn einem jemand so gegen 3 oder 4 Uhr früh begegnet, was der wohl um diese Zeit will. Dann fühlt man sich besonders unbehaglich, wenn längere Zeit ein Auto hinterher fährt. So ganz allein ist man nachts dann doch nicht …

Alleinsein hat nichts zu tun mit Einsamkeit. Wo Einsamkeit das Gefühl des Verlusts von Nähe meint, das Empfinden, in eine Welt geworfen zu sein, in der es keinen Zusammenhalt und kein Netz gibt, bedeutet Alleinsein, die ganze Welt geistig einzuladen. Wer allein ist, lässt Gott und die Welt bei sich ein. Kränkungen und Demütigungen, Hochgefühle und Glück schmecken nach und erhalten ein Gedächtnis in der Seele. Beim Alleinsein wachsen innere Bilder, entstehen Visionen, öffnet sich Erkenntnis, ordnet sich die Existenz. Wer allein ist, tritt sich selbst ungeschützt gegenüber, und niemand kann zur Verteidigung gerufen werden.

Alles schläft, einsam wacht nur das traute, hochheilige Paar …

Natürlich, das tun frisch gebackene Eltern doch immer. Sie wachen über ihrem Kind, lauschen auf jeden Atemzug, sehen, ob es auch zugedeckt ist, ob ihm etwas fehlt. Sorge um das Kind lässt Eltern oft nicht schlafen. Sorge ist überhaupt nicht schlaffördern. Und für diese Eltern, um die es in dem Lied geht, schon gar nicht. Schön, das Kind ist da, es ist gesund und munter. Aber wie sieht die Zukunft aus?

Ahnen sie schon, dass es nicht so bald wieder nach Hause geht, sondern die Flucht bevorsteht? Ahnt Maria schon, dass sie ihren Sohn nicht lange bei sich haben wird, sondern dass er sehr früh seinen eigenen Weg gehen wird? Dass dieser Weg kein leichter sein wird, er oft unverstanden bleibt, auch in der Familie? Überhaupt, die Familie, steht sie zu Maria, da sie doch unverheiratet schwanger wurde? Fragen, auf die der Heilige Abend noch keine Antwort geben kann, die aber doch latent vorhanden sind.

Holder Knabe im lockigen Haar, schlaf in himmlischer Ruh!

Kitsch, sagen die einen, das Lied der Friseure, „holder Knabe im lockigen Haar“. Nein, sagen die anderen, ein schönes, heimeliges Bild. Ein schlafendes Baby, wachende Eltern, ein Bild voller Frieden und heiler Welt. Der Schlaf eines Babys drückt doch alles Urvertrauen aus. Noch völlig unbewusst und doch vorhanden ist das Gefühl, ich kann mich in den Schlaf fallen lassen. Nichts kann mir passieren, Mama und Papa sind da. Wenn dieses Urvertrauen gestört ist, dann ist es auch mit dem Schlaf in himmlischer Ruh vorbei. Wo Ängste und Sorgen quälen, wo das Nötigste nicht vorhanden ist – nicht nur Materielles – da ist Schlaflosigkeit angesagt. Doch dieser arme Stall ist ein Hort des Friedens, wo Engel wachen und sogar das Vieh im Stall schweigt.

Stille Nacht, heilige Nacht, Gottes Sohn, o wie lacht lieb aus deinem göttlichen Mund ...

Das erste Lächeln eines Babys, das gräbt sich tief ins Gedächtnis der Eltern ein. Das Lächeln eines Babys lässt auch den größten Griesgram zahm werden. Eltern und besonders Großeltern werden weich, wenn einen Kinderaugen strahlend anlächeln. Nichts kann man dann den Kleinen abschlagen. Das Lächeln eines Menschen überwindet die Distanz, schafft ein gutes Gefühl, macht offen für Gespräche. Ein Lächeln kann Krisensituationen entschärfen. Nichts ist befreiender als ein herzliches Lachen! Und dann erst das göttliche Lächeln!! Wenn Gott lächelt, hält die Welt den Atem an und spürt einen Hauch der Ewigkeit.

… da uns schlägt die rettende Stund: Christ, in deiner Geburt!

Ja, es ist die Zeit der Rettung, der Rettung von Verderben, Vergessen, Versagen, Verzweiflung, vom Tod. Geboren um zu retten, geboren um zu verzeihen, zu versöhnen und zu lieben.
„Es ist die Zeit“ - so schrieb Frank Howaldt, Pastor und Autor in der Nord-Kirche:
Es ist die Zeit, wo Nester bewohnt werden von den Schneeflocken           
und die goldenen Blätter Abschied genommen haben in leichtem Fall.
            Es ist die Zeit,
            wo die Gedanken sich wenden
            und die Häupter sich heben
            und das Herz sich erinnert,
            dass Dunkelheit nicht dunkel ist bei ihm
 und Licht sein wird statt Nacht.
            Es ist die Zeit,
            wo die Rechtschaffenen zu schweigen beginnen
            und neue Worte gefunden werden von denen,
            die gesucht haben, während sie warteten.
            Es ist die Zeit,
            wo wir beginnen, uns Gott ans Herz zu legen.
            Mir geschehe, wie du gesagt hast!

Jesus wird später sagen: Niemand kommt zum Vater denn durch mich. Nur durch ihn sind wir errettet, in seiner Geburtsstunde ist es auch uns Christen möglich, zu Gott zu kommen. Das ist wahre Rettung, mehr als ein Rettungsring, es ist fester, tragfähiger Boden.

Stille Nacht, heilige Nacht, Hirten erst kundgemacht …
Hirten, Menschen, die für andere das Vieh hüten, die nachts bei der Herde sein müssen, sie bewachen und kaum das Auskommen haben. Hirten, die nie etwas vom Leben erwarten konnte als Arbeit, Arbeit, Arbeit. Die keine Träume mehr hatten, weil es sich ja doch nicht lohnt zu träumen. Die aber vielleicht eine vage Sehnsucht im Herzen trugen, einmal etwas Besonderes zu erleben. Diese Sehnsucht wurde gestillt. Ihnen, den einfachen Leuten, wurde es als erstes kundgemacht

… durch der Engel Halleluja!
Nicht durch irgendetwas, nein durch Engel, viele Engel, die jubelnd das Halleluja sangen. In das eintönige, beschauliche Leben der Hirten singen sie hinein. Sie verbreiten die frohe Botschaft, die sich bald der ganzen Welt öffnet:

Tönt es laut von fern und nah: Christ, der Retter ist da!
Hier in Bethlehem, vollendet sich das, was der Prophet Micha träumte. Und Du, Bethlehem Efrata, die Du klein bist unter den Städten in Juda, aus Dir soll der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist. Indes lässt er sie plagen bis auf die Zeit, dass die, welche gebären soll, geboren hat. Da wird dann der Rest seiner Brüder wiederkommen zu den Söhnen Israel. Er aber wird auftreten und weiden in der Kraft des Herrn und in der Macht des Namens des Herrn, seines Gottes. Und sie werden sicher wohnen; denn er wird zur selben Zeit herrlich werden, so weit die Welt ist.
Und er wird der Friede sein.
Er wird der Friede sein. Das alte Traumbild des Micha.
Er wird der Friede sein. Jesus Christus. In der stillen, heiligen Nacht geboren. Frieden für die Welt. Für Dich und mich. Für jeden, in der stillen, heiligen Nacht.
Er wird der Friede sein.
Dein Friede – Soldat, im Krieg, fern der Heimat und Familie, in dieser  Nacht.
Dein Friede – in den Unfrieden Deines Tages.
Dein Friede – in Deiner Krankheit, im Krankenhaus vielleicht in dieser Nacht oder im Pflegeheim.
Dein Friede – mitten hinein in das, was Dich gerade bewegt.
Dein Friede – der Deine Tränen sieht. Und der Deine Sorgen mitträgt, um Dich zu entlasten.
Dein Friede – für das, was friedlos ist in Dir.
Nur ein Traum? Nein, glaubt es ruhig. Ein Traum nur? Manchmal nur ganz zart. So klein wie ein Kind in der Krippe. Ein Bündel Leben.
Er wird der Friede sein.
Für Dich und den, der umtriebig ist vor Angst: Wie wird meine Familie reagieren auf meine Homosexualität?
Für Dich und die, die nicht vertrauen kann, von der Familie verlassen unbehütet auf der Straße lebt.
Für Dich und für den, der sein zu Hause rastlos immer woanders hat, es mitnimmt, dessen Beruf ihm Heimat raubt. Traumbilder heute. Glaubt es ruhig!

Stille Nacht. Heilige Nacht.
Das Traumbild voller Sehnsucht nach dem, der uns geboren wurde in dieser stillen, heiligen Nacht. Hier für uns in der Kirche San Eugenio auf Teneriffa, in der kleinen Ermita in San Sebastian auf La Gomera und in der ganzen Welt. Ich wünsche Ihnen und auch mir, dass wir ein wenig von dem Zauber dieser Nacht erfahren dürfen in dieser Weihnachtszeit, in einer dieser langen Nächte, und ihn mitnehmen in unseren Alltag über die Weihnachtszeit hinaus ins neue Jahr.
Amen.

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