1. August 2020

Nachfolge und Gleichheit

*** The original Text in English will be posted right after this translation. So please, scoll up in the Blog.
Julian ist seit etlichen Jahren im Team der Bibeldialoge. Ursprünglich in Neuseeland geboren, ist er heute Pfarrer in einer Gemeinde in England, in der Nähe von London.

Der Tod von George Floyd,  die Black Lives Matter Bewegung, und die unverhältnismäßige Wirkung des Coronavirus auf die Gesundheit von Menschen, die in Armut leben,  warfen ein neues Schlaglicht auf die anhaltende Ungerechtigkeit und Ungleichbehandlung von Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe. Es ist ein guter Moment an Martin Luther King zu erinnern festzustellen, der vor 56 Jahren, 1963,  seine "Ich habe einen Traum"-Rede hielt. Darin hieß es:
Ich habe einen Traum, dass meine vier kleinen Kinder eines Tages in einer Nation leben werden, in der sie nicht wegen der Farbe ihrer Haut, sondern nach dem Wesen ihres Charakters beurteilt werden.
Es ist empörend, dass Menschen heute allzu oft nicht nach dem Wesen ihres Charakters beurteilt werden, sondern nach der Farbe ihrer Haut, nach ihrem Geschlecht oder nach ihrer sexuellen Orientierung. Martin Luther King zitierte in derselben Rede auch den Propheten Jesaja:
Ich habe einen Traum, dass eines Tages jedes Tal erhöht und jeder Hügel und Berg erniedrigt werden. Die unebenen Plätze werden flach und die gewundenen Plätze gerade, und die Herrlichkeit des Herrn soll offenbart werden und alles Fleisch miteinander wird es sehen. (nach Jesaja 40:4-5)
Ich gehe davon aus, dass die meisten von uns auf einer Autobahn gefahren sind. Eine Autobahn oder Schnellstraße ist so konstruiert, dass sie die schnellste und direkteste Route durch eine Landschaft bietet. Typischerweise wird die Autobahn bei hügeliger Landschaft im Tal angehoben und Hügel werden beschnitten. Die Oberfläche soll glatt sein, und die Kurven sollen sanft. All dies ermöglicht es den Mitreisenden, schnell und bequem ans Ziel zu kommen. Wenn wir die Autobahn so behandeln, wie Jesaja seine geplante Autobahn behandelt – als Metapher für das Heil –, könnten wir sagen, dass Gott große Mühe unternimmt, um den Weg eben und glatt zu gestalten, damit alle Menschen auf seine unerschütterliche Liebe reagieren können. Der englische Dominikaner Herbert McCabe glaubt, dass die Liebe immer nach Gleichheit strebt. Einen Menschen wirklich zu lieben bedeutet, Hierarchie und jedes Macht-Ungleichgewicht aufzulösen (nach: God Still Matters, S. 4-5).
Wenn wir behaupten, Jünger Jesu zu sein, die die Botschaft des Evangeliums sowohl glauben als auch leben, dann Ungleichheit in all ihren Formen etwas, dass uns angeht, denn das Streben der Liebe nach Gleichheit ist das Evangelium. Wenn wir glauben, dass Gott jeden Menschen gleichermaßen liebt und schätzt, weil er uns das in Jesus gezeigt hat, dann sind auch wir berufen, jeden Menschen gleichermaßen zu lieben und zu schätzen wie die Jünger Jesu. Dazu muss man jedoch zunächst einmal merken – so wie es auch der Autobahningenieur bei seiner Planung – dass wir nicht alle auf der gleichen Ebene sind und daher für jede Person ein anderer Ansatz erforderlich ist. Einige befinden sich im Tal der Verzweiflung und müssen erhoben werden. Einige sind auf dem Berg der Privilegien und müssen hinabsteigen. Einige sind auf eine schiefe Bahn geraten und müssen auf den geraden Weg geleitet werden. Einige befinden sich auf einem rauen und anspruchsvollen Weg, der geglättet werden muss.
Dietrich Bonhoeffer, 1906 in Breslau geboren, argumentierte, dass es Bedingungen des Herzens, des Lebens und in der Welt gebe, die den Empfang der Gnade behindern könnten. Zum Beispiel können diejenigen, die Opfer von Ungerechtigkeit und Armut sind, Schwierigkeiten haben, an Gottes Gerechtigkeit und Güte zu glauben. Diejenigen, die mächtig sind, werden es schwer haben, Gottes Macht und Gericht zu begreifen. Unsere Aufgabe ist es, wie die des Autobahningenieurs, den Weg zu bereiten. Wir sollen den Weg für das Kommen der Gnade Gottes zu jedem Menschen bereiten, indem wir die Unterschiede und die Bedingungen wahrnehmen, die es erschwert, auf die Gnade zu reagieren, und unseren Ansatz für jede Person anpassen (nach Bohoeffers Ethik)
Da die Lebenserfahrung und die Voraussetzungen der Menschen in oft sehr unterschiedlich und ungleich sind, würden wir, wenn wir alle genau gleichbehandeln, die Ungleichheit tatsächlich nur verfestigen. Stattdessen müssen wir dort beginnen, wo sich der einzelne Mensch befindet: unten im Tal, auf dem Berg, auf der schiefen Bahn, auf dem rauen Weg – und den Weg für Gottes Gnade bereiten, indem wir am Streben der Liebe zur Gleichheit teilhaben. Praktisch bedeutet dies, dass es nicht ausreicht, nicht rassistisch zu sein; wir müssen antirassistisch sein, indem wir uns diesen Menschen entgegenstellen und jene Strukturen ändern, die die Rassenungleichheit verewigen. In der Kirche können wir mit gutem Beispiel vorangehen, indem wir die Menschen nach dem Wesen ihres Charakters behandeln. Wir können die Jüngerschaft und die Talente von Angehörigen ethnischer Minderheiten im Dienst und in der Führung erkennen und fördern.  Anstatt die Ungleichheit ins Rampenlicht zu rücken, können wir stattdessen die Herrlichkeit des Herrn feiern, die sich in einem vielfältigen und gleichberechtigten Volk Gottes widerspiegelt.

Julian Templeton, Pfarrer von St John United Reformed Church, New Barnet, Vereinigtes Königreich

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