22. September 2020

Neue und heilende Worte

 *** I will post the English translation here tomorrow.
Pfarrer Immo Wache hat von Teneriffa aus wieder ein paar Gedanken für den Blog geschickt.
"Ich sehe das Fragezeichen auf ihrer Stirn: „Liebe Eltern, wir haben gerade einen Lockdown überstanden!“ Meine Eltern – sie leben nicht mehr - würden sagen: „Wie bitte? Was habt Ihr überstanden?“ Es gibt Wörter, die kannten wir vor ein paar Monaten noch nicht. „Lockdown“ gehört dazu. Andere Wörter auch: „Präsenzgottesdienste“ oder „Digitalgottesdienste“. Meinen Eltern hätte ich das erklären müssen: Es gibt Gottesdienste, bei denen man körperlich präsent, also anwesend ist und solche, die über das Internet verbreitet werden, bei denen man also alles digital über einen Bildschirm verfolgen kann. „Wieso?“ würden sie fragen. Ich würde antworten: „Weil es einen „Superspreader“ gegeben hat, der die „Maskenpflicht“ nicht eingehalten hat und die „Quarantänepflicht“ nach dem „Coronatest“. Vom „Mindestabstand“ ganz zu schweigen!“…
… Ich wäre dafür, ein neues Wörterbuch 2020 zu schreiben. Darin würden alle neuen Wörter auftauchen, die man in der Coronazeit erfunden hat.
Ich plädiere aber auch dafür, ein Wörterbuch der alten Sprache direkt im Doppelpack daneben zu legen. Es gibt Wörter, die kennt nämlich kaum noch jemand. Wörter wie „Gnade“ oder „Barmherzigkeit“, „Anstand“ oder „Segen“. Ich würde auch Wörter wie „Demut“ und „Rücksicht“ hervorheben.
Neue Ereignisse erfordern einen neuen Sprachgebrauch. Das nie Dagewesene braucht Namen. Die Verbreitung des neuen Virus Covid19 ist mit Sicherheit ein Ereignis, das neu ist und in die Geschichte eingehen wird. Aber ich finde, gerade bei solch gravierenden Geschehnissen, wie der derzeitigen Coronakrise, brauchen wir umso mehr die alten Wörter. Könnte es nicht sein, dass wir neben einem Impfstoff gerade diese alten Wörter gebrauchen könnten, damit wir eine Krise gemeinsam bewältigen? „Gnade“, (und deshalb „Dankbarkeit“) wenn wir körperlich verschont geblieben sind vom Virus. „Barmherzigkeit“, wenn wir uns um die kümmern, die wegen der wegfallenden Jobs gerade in der Tourismusbranche in Not geraten sind? „Anstand“, „Demut“ oder „Rücksicht“ , wenn wir nicht nur die eigenen Interessen und unser vermeintliches individuelles Recht auf Freiheit in den Vordergrund stellen, sondern überlegen, was eigentlich „Segens-reich“ für alle sein könnte? Nur miteinander können wir die Verbreitung des Virus eindämmen. Ich staune immer wieder, wie die Bibel manches aktuelles Tagesgeschehen auf den Punkt bringen kann: Du sollst Gott die Ehre geben und deinen Nächsten lieben wie dich selbst. (5.Mose 6.5 / 3.Mose, 19.18)
Jetzt, wo wir in vielen Ländern bangen, ob es doch noch einmal einen Lockdown geben muss, passt der Text nur zu gut in unsere Welt. Aber sind das denn heilende Worte? Lockdown oder Maskenpflicht sind Wörter, die Leben retten sollen. Vielleicht würden viele sie eher annehmen können, wennauch die Wörter "Rücksicht", "Demut", "Barmherzigkeit" ... mehr Präsenz in unserem Alltag hätten?

 

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