*** If you wish to read this post in English, please mail to: hahn@eaberlin.de.
Altbischof Klaus Wollenweber, der viele Jahre schon den Bibeldialogen verbunden ist und
sie als Oberkirchenrat auch durch die Wendezeit begleitet hat, stellt uns seine Predigt
vom vergangenen Sonntag in der Bonner Friedenskirche für den Blog zur Verfügung. Seine
Bibelauslegungen haben wir so manche Anregung geschenkt, die meinen Glauben
reicher gemacht haben. Danke dafür.
Psalmenverse sind jedem Sonntag im Kirchenjahr zugeordnet.
Diese werden meist von uns in der Eingangs-liturgie des Gottesdienstes gesprochen
oder in einer anderen Übertragung des hebräischen Textes gehört. Wir
Christinnen und Christen übernehmen damit uralte Gebete und Lieder des Volkes
Israel. Wir knüpfen ein Band zwischen jüdischem und christlichem Glauben in
unserem sonntäglichen Gottesdienst.
Psalmengebete und Psalmenlieder spiegeln das Leben der
glaubenden Israeliten wider; sie waren damals in ganz unterschiedlichen Lebens-Situationen
entstanden: Dank- und Lobgebete neben den Klage- und Notgesängen, Hilfe-schreie
des Einzelnen neben Bekenntnisausrufen einer Gemeinschaft. Der Psalm für den 8.11.
hat zwei Teile: im ersten Teil ist er ein Volksklagelied mit dem Ruf nach
Wiederherstellung der Gemeinschaft des Volkes Israel mit Gott; im zweiten Teil
– in den für den heutigen Sonntag vorgesehenen Versen – gibt es für die
klagende Gemeinde eine prophetische Antwort Gottes.
Könnte ich doch hören, was Gott der HERR redet, dass er Frieden zusagte seinem Volk und seinen Heiligen, auf
dass sie nicht in Torheit geraten. Doch ist ja seine Hilfe nahe denen, die ihn
fürchten, dass in unserm Lande Ehre wohne; dass Güte und Treue einander
begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen; dass Treue auf der Erde wachse
und Gerechtigkeit vom Himmel schaue; dass uns auch der HERR Gutes tue und unser
Land seine Frucht gebe; dass Gerechtigkeit vor ihm her gehe und seinen
Schritten folge. (Psalm 85, 9-14)
Die klagende Gemeinde erwartet auf ihre Bitten und ihr
Flehen eine Antwort Gottes – vor vielen hundert Jahren ebenso wie wir heute.
Wir erwarten doch auch auf unsere Fürbitten eine Antwort Gottes, nicht zuletzt
in dieser Corona-Pandemie-Krisenzeit endlich ein spürbares Eingreifen Gottes.
Wir beten und beten, aber statt Frieden gibt es immer mehr Unfrieden, statt Gerechtigkeit
und Eigenverantwortung immer mehr unverständliche Regeln und Fremdbestimmung
unseres Alltags, statt Zufriedenheit immer mehr Unsicherheit. Nicht zuletzt
erschreckt mich und andere das, was sich in der freiheitlich-demokratischen USA
in der vergangenen Woche ereignet hat.
Sind Sie und ich mit unserem christlichen Hoffnungs-Glauben
insgeheim schon gekennzeichnet von Enttäuschung, Resignation und Skepsis? Haben
wir ein barmherziges und gerechtes Handeln Gottes bereits in Zweifel gezogen?
Und weiter frage ich: Was gibt uns das Recht zu hoffen, dass die Gerechtigkeit
des Reiches Gottes unter uns Menschen wächst, wie der Psalmbeter verheißt? Was
ermutigt uns zu der Hoffnung, dass das Vertrauen unter uns Menschen zunimmt und
nicht verlorengeht?
Zu einer christlichen Antwort gehört meiner Meinung nach zunächst
eine Klarstellung: Oft ist es so, dass wir christliche Mitmenschen am liebsten
das Paradies auf Erden mit Gerechtigkeit und Frieden gleich und sofort und am
liebsten in vollem Umfang erleben möchten. Wir sind häufig gegen-über Gott
ungeduldig und maßlos – und zugleich auch misstrauisch!
Möglicherweise ist das die größte Torheit in unserem
Glaubensverständnis, wenn wir uns – statt des vollen Vertrauens in Gottes
Gerechtigkeit und Frieden – lieber auf Menschen verlassen und bewusst oder unbewusst die
Wissenschaft, das Geld, Macht und Waffen verehren, jedenfalls in den
Mittelpunkt stellen.
Darin liegt keine Treue und – wie der Psalmbeter sagt –
darauf wächst auch keine Treue, keine Begegnung von Frieden und Gerechtigkeit. Es
geht im Vertrauen des Glaubens um Gnade Gottes anstatt um Gnadenlosigkeit der
Menschen; es geht um Treue anstelle der Lüge, der fake news, die unsere Gemeinschaft
vergiften; es geht um Frieden mit Gott und untereinander anstatt Zwietracht,
Hass und Streit. An manchen Stellen fehlt uns die Unterscheidung von Wahrheit
und Lüge in dieser Corona-Zeit; das macht mich orientierungslos; dann helfen
auch unsere besten ethischen Grundsätze nicht mehr weiter.
Gerechtigkeit und Liebe Gottes sind unter uns Menschen kein
Scheck, den man sofort auf der Bank einlösen kann. Gott ist kein automatischer
Handelspartner unserer Gedanken, Vorstellungen und Wünsche. Das Reich Gottes,
der Bereich des friedlichen und zuversichtlichen Zusammenlebens, ist überhaupt
keine Handelsware.
Wir sind Christenmenschen, die nicht auf der Stelle treten,
sondern lebendig in Bewegung sind. Wir sind – wenigstens gedanklich –
unterwegs, schauen in die nächste Woche, leben von der Hoffnung, die nicht
zuschanden wird. Es ist uns nicht versprochen, nicht biblisch verheißen, dass
wir vorzeitig aus der Verantwortung für unser Handeln hier in dem jetzt von
Corona geprägten Alltag entlassen werden.
Ich habe den Eindruck, dass wir manches Mal mit Gott viel
ungeduldiger sind als mit uns selbst. Resignation ist jedoch nicht angesagt,
vielmehr Zutrauen in Gottes Zukunft. Und das heißt: ein hoffender Glaube wird
von uns erwartet.
Was ermutigt uns nun zu diesem hoffenden Glauben? Antwort:
allein das Vertrauen in Kreuz und Auferstehung Jesu Christi, der uns kein
plötzliches Paradies oder paradiesisches Zusammenleben versprochen hat.
Jesus Christus hat ein Samenkorn in die Welt unter uns
Menschen gebracht. Dieses Samenkorn der Liebe, des Friedens und der
Gerechtigkeit verschwand und starb, um wachsen zu können und dann auch Frucht
zu bringen. Wenn Sie fragen: Wo denn heute? Dann kann ich mit Christus nur
antworten: Immer dort, wo Menschen diese Liebe und den Frieden nicht bei Gott
einklagen, sondern selbst in ihrer Umgebung Liebe und Frieden stiften.
Das heißt: Wo Sie und ich nicht das Paradies bei Gott
ertrotzen, sondern selbst Vertrauen schenken und Liebe wecken. Der Psalmenbeter sagt: „Ja, sein Heil ist nahe
bei denen, die Ehrfurcht vor Gott haben, so dass seine Ehre in unserem Land
wohne. Güte und Treue begegnen sich; Gerechtigkeit und Frieden werden einander finden.“
Unser christlicher Wert „Güte“ kehrt nichts unter den
Teppich und der Wert „Treue“ bleibt standhaft. Gerechtigkeit und Treue gehen
sich nicht aus dem Weg, sondern umarmen sich, sagt der Psalmbeter. Unsere Welt
wird aufatmen; die verwundete Erde wird heilen. Das sind die unerschütterlichen
Zukunftsaussichten.
Ich betone zum Schluss und ermutige uns für diese neue
Woche: Wir sind und bleiben ein immer noch wanderndes Gottesvolk – unterwegs
zwischen dem geschehenen Heil durch Jesus Christus und dem zukünftigen,
endgültigen Heil bei Jesus Christus. „Gerechtigkeit Gottes geht uns voraus und
Frieden folgt seinen Schritten, Heil folgt seinen Spuren.“
So bewahre der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserm Herrn. Amen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hier können Sie meinen Eintrag kommentieren. You can leave your comments here.