1. Dezember 2021

Weltbilder wanken lassen im Advent. Gedanken zu einem Gedicht von Mascha Kaléko

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Das Gedicht von Mascha Kaléko auf das sich Magdalenes Text heute bezieht, findet sich unter anderem in einer Leseprobe des Verlags DTV, der die Rechte zu ihren Werken besitzt. Danke, liebe Magdalene für Deine Gedanken, die immer wieder auch bei mir Gedanken anstoßen.

Wo sich berühren Raum und Zeit...

Wo sich berühren Raum und Zeit,
Am Kreuzpunkt der Unendlichkeit,
Ein Pünktchen im Vorüberschweben –
Das ist der Stern, auf dem wir leben.

Wo kam das her, wohin wird es wohl gehen?
Was hier verlischt, wo mag das auferstehn?
- Ein Mann, ein Fels, ein Käfer, eine Lilie
Sind Kinder einer einzigen Familie.

Das All ist eins. Was „gestern“ heisst und „morgen“,
Ist nur das Heute, unserm Blick verborgen.
Ein Korn im Stundenglase der Äonen
Ist diese Gegenwart, die wir bewohnen.

Dein Weltbild, Zwerg, wie du auch sinnst,
Bleibt ein Phantom, ein Hirngespinst.
Dein Ich – das Glas, darin sich Schatten spiegeln,
Das „Ding an sich“ – Ein Buch mit sieben Siegeln.

Wo sich berühren Raum und Zeit,
Am Kreuzpunkt der Unendlichkeit –
Wie Windeswehen in gemalten Bäumen
Umrauscht uns diese Welt, die wir nur träumen.

Sind wir denn wirklich nur „Zwerge“ im ewigen, unermesslichen Getriebe der Billion beobachtbarer  Galaxien des Universums?  

Mein Innerstes wehrt sich entschieden gegen diese Zumutung. Schließlich empfinde ich alles um mich herum höchst bedeutungsgeladen - ob es das Käferchen am Waldweg  oder die steil aufsteigende Rakete zur ISS ist. Noch größere Wertschätzung bringe ich liebevollen Menschen entgegen,  die mich immer wieder mit  freundlichen Worten aus meinen Weltschmerzgedanken herausholen.

„Wo kam das her, wohin wird es wohl gehen?“ Niemals war die Zukunft unseres blauen Planeten ungewisser. Doch meine Hoffnung bewahre ich mir - gerade jetzt zur Weihnachtszeit, wo sich etwas NEUES ankündigt.

„Dein Weltbild Zwerg , wie Du auch sinnst, bleibt ein Phantom, ein Hirngespinst“ meint Mascha Kaleko vor über 50 Jahren. Recht hat sie. Unsere festgefügten Gedankengebäude über die Natur, über das Leben und uns selber sind auf beängstigende Weise ins Wanken geraten. Die Wissenschaft hat so ziemlich alles , was so handfest schien, entzaubert. 

Tief im innersten Innern von allem, was wir anfassen, bearbeiten und benutzen können, hat die moderne Wissenschaft nichts Festes und nichts Greifbares  gefunden, sondern nur schwingende Felder von Energie, die das ganze Universum , die die Unendlichkeit durchziehen.

Alles in der Welt ist verbunden in einem nicht fassbaren Gewebe von Feldern, die sich seltsam und unberechenbar bewegen.

Wir haben es in dieser entzauberten Welt mit Rätseln zu tun und müssen Mascha Kaleko zustimmen, dass wir in „Hirngespinsten“ und unauflösbaren Rätseln gefangen sind und diese „Welt uns umrauscht“. Das ist nun wieder ein schönes Bild: wir sind umgeben vom Rauschen des unermesslichen , kalten Universums . Und doch fühlen wir uns irgendwie geborgen in dieser nicht fassbaren Heimat.

Magdalene Schönhoff

 

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