*** Sorry, no English translations today. I am busy preparing for Christmas.
Verena lebt seit einigen Jahren auf Teneriffa und noch viele Jahre länger ist sie eine der engagiertesten Leiterinnen der Bibeldialoge. Sie ist Prädikantin und hat uns deshalb letztes Jahr diese Adventspredigt für den Blog geschenkt. Ich denke, die Predigt ist noch immer aktuell. Danke, Verena!
Es ist Advent, damit erzähle ich nichts Neues. Wir schmücken mit Freude Türen, Fenster und Räume mit allerlei Kleinigkeiten, die die festliche Zeit einläuten: mit Zweigen und Kerzen, Obst und Nüssen … Und wir singen die Lieder, die uns seit unserer Kinderzeit die langen dunklen Wochen verzaubern und in einen Zustand frohen Wartens versetzen.
»Macht hoch die Tür, die Tor macht weit« ist eines dieser unvergesslichen Lieder, das uns sofort in diese Stimmung von Sehnsucht und Hoffnung versetzt, die die Adventszeit prägt. Es sind die Worte, in denen so viel mehr mitschwingt, als unser Alltag hergibt; es ist die Melodie, die in ihrem Rhythmus und ihrer Struktur ein Bild von Versprechen und Erfüllen ist.
»Macht hoch die Tür« ist eigentlich nicht wirklich naheliegend; denn wer macht schon eine Tür hoch? Wir machen sie auf, indem wir sie zur Seite bewegen. Nur große Tore macht man hoch: ein Garagentor oder das Gittertor eines Schlosses oder das einer Burg. Man zieht den Vorhang im Theater hoch, wenn das Stück beginnt und wir hineingenommen werden in die andere Welt und Kulisse, die da vor uns aufgebaut wird.
Und bestimmt hat der Dichter auch gerade daran gedacht: Wir sollen in dieser Erwartung weit und frei werden und unser Haus so öffnen: nicht nur einen Spaltbreit, um mal vorsichtig-misstrauisch nach dem fremden Gast zu schauen; nicht nur menschenbreit wie dem Postboten, der sein Paket abgibt und dann wieder geht. Nein, sondern soweit und so offen soll das Tor sein, dass wirklich das Leben hineinfluten kann, auch wenn es vielleicht mehr ist, als wir fassen können.
Und wer oder was kommt dann durch das geöffnete Tor?
Ein König, heißt es, ein König aller Königreich, ein Herr aller Herren.
Auch wenn es nun schon fast 100 Jahre lang keinen König mehr in unserem Land gibt und auch andere Könige ihre Macht eingebüßt haben: Wir wissen trotzdem sofort, was das bedeutet. Ein König steht für das Höchste, das man auf der Erde werden kann. König sein bedeutet Macht und Reichtum, bedeutet über das Geschick eines Landes zu entscheiden, über Krieg und Frieden. In einem König, einer Königin, verkörpern sich alle Träume der Armen und derer, die sich aus ihrem eher tristen Leben wegträumen. Doch auch in dieser scheinbaren Märchenwelt, in einer Königsfamilie, ist nicht immer alles heil. Dort wirkt das Unglück noch unfassbarer: Denken Sie nur an die Ermordung der Zarenfamilie oder die in den Unfalltod gehetzte Prinzessin Diana. Da liegen Glanz und Elend umso erschreckender beieinander.
Ein König wird erwartet. Welch ein Medien-Hype war das, als der kleine Thronfolger George, das Kind von Kate und William, in England zur Welt kam! Tagelang wurde die Geburtsklinik von Reportern aus aller Welt belauert, in Tag- und Nachtschicht, um nur ja nichts zu verpassen. Auch als Staatsbesuch löst das Kommen eine angespannte Erwartung aus: Ob es nun eine Königin, der Präsident einer Weltmacht oder der Papst ist, der Besuch bringt in ein Land Anspannung und betriebsame Vorbereitung und Absicherung; da wird jeder Winkel durchleuchtet und sogar Kanaldeckel zugeschweißt. Ein Misslingen oder ein Attentat wäre eine unverzeihliche Blamage.
In der Adventszeit erwarten auch wir hohen Besuch: einen herrlichen Herrn, einen König über allen Herrschern, einen Welten-Heiland. Wir erwarten einen, von dem wir sagen, dass er Heil und Leben mit sich bringt und der Gott lobt. Gibt es da nicht deutliche Unterschiede zwischen den heute noch existierenden Real-Monarchien und seiner erwarteten Ankunft? Und tatsächlich sind die Vorbereitungen dafür enorm und überall vor Augen. Stellen Sie sich vor, ein Mensch aus einem fernen Land, der noch nichts von unserem Weihnachtsfest gehört hat, käme in unser Land und sähe unsere allgegenwärtigen Vorbereitungen und Ausschmückungen; müsste er nicht voller Erwartung fragen: Welch hohen Besuch erwarten Sie denn, dass Sie Ihre ganze Stadt, Ihr ganzes Land in solch einen außergewöhnlichen Schmuck kleiden? Kommt er denn auch zu Ihnen, dass sie sogar Ihr Zimmer so reizend gestalten?
Und er sähe, was da so langsam aus den Kisten kommt: Engelfiguren und Hirten, Tiere und Könige und eine kleine Familie mit einem Baby in einem armen Stall. Und er würde fragen: Sind es diese fremden Könige, die Sie erwarten? Und was erwarten Sie von ihnen für Ihr Land? Und mit Verwundern würde er hören, dass die Hauptperson in diesem allem das kleine Kind ist. Dies Kind? Und was soll dieses bewirken? Und was soll das für ein König sein? Und wann und woher kommt er? Und wo sind seine Anhänger? Und dann müssten wir uns etwas betreten erst besinnen. Der König, den wir erwarten, ist so ganz anders als die, die wir kennen. Der König, den wir uns wünschen, müsste gerecht sein und nicht Leute um sich scharen, die ihren Vorteil suchen.
Er soll unser Geld nicht in militärische Aufrüstung stecken, sondern in Friedensbemühungen. Er soll keine Prestige-Bauprojekte initiieren, er soll das Geld in Schulen und Krankenhäuser und in die maroden Straßen und in das schnelle Internet stecken. Er soll nicht seine eigenen Leute reich machen, sondern dafür sorgen, dass alle ihr Auskommen haben. Er soll sich nicht mit Eitelkeit und Macht schmücken, sondern mit Barmherzigkeit.
»So einen König gibt es nicht!«, würde der Fremde sagen. Nein, wir haben noch keinen König, keinen Präsidenten und keinen Papst erlebt, der so wäre. Aber da gab es dieses Kind, das sich nicht verbiegen ließ, als es erwachsen wurde. Da gab es diesen Mann, der Gott ergeben seinen Weg ging. Er hat nie eine Krone getragen, obwohl die Leute sie ihm aufdrängen wollten. Er hat nie sein Heimatland regiert. Im Gegenteil: Die Menschen haben sein Anderssein nicht ertragen, sie haben seine eigene Göttlichkeit und Gottverbundenheit nicht wahrhaben wollen. Er wurde getötet und ist doch lebendig wieder erschienen; er verschwand aus den Augen, aber wurde für unzählige Menschen in der weiten Welt sichtbar als Gottes Sohn unter uns: ein König, größer als alle Könige, ein Heilender für innere und äußere Not.
Wohl der Stadt, wohl dem Land, das von solch einem König regiert wird! Ich muss dich enttäuschen, Fremder, wenn du jetzt meinst, unsere Stadt, unser ganzes Land bereite sich jetzt tatsächlich auf sein Erscheinen vor. Es ist für viele nur noch eine Gewohnheit.Denn leider sind viele blind geworden: blind vom Glanz des Geldes, blind vom Rausch der Macht, blind vor lauter Realitätsgläubigkeit, blind von der nicht endenden Bilderflut.
Wir erwarten nicht wirklich den König. Wir träumen nur von
einem glanzvollen Leben auch für uns. Wir erwarten nicht wirklich einen Herrn.
Wir misstrauen allen Herren und lieben unsere Freiheit und unseren Wohlstand
mehr als Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Wir erwarten nicht wirklich einen
Heiland. Wir haben Ärzte und Medizin und Psychologen, die flicken uns
einigermaßen zurecht; ein Heilwerden an unserer Seele erwarten wir in dieser
Welt nicht.
Das ist unser tiefes Unheil, Fremder: dass unsere Hoffnung so verkümmert ist. Dass unsere Herzen kalt geworden sind, weil unser Kopf nur noch denken kann, nur noch wissen will, nur noch Wirklichkeit analysiert. Unser Unheil ist, dass unsere Seele verschüttet ist von einer Realität ohne Vision, von Engelbildern ohne Wunderkraft, von Worten ohne Herz.
Du sagst, wir sollen weitersingen, Fremder? Du sagst, das Lied hat eine Antwort für uns? Wir wollen es versuchen. Vielleicht hast du Recht, Fremder. Wir haben unsere Tür nur geschmückt, aber wir haben sie nicht wirklich aufgemacht. Wir haben unser Haus zum Schmuckstück gemacht, aber eigentlich sollen wir unser Herz zum Tempel machen. Und der Zweig, den wir anstecken, soll nicht vom Immergrün der Natur erzählen, sondern von der Gottseligkeit zu allen Zeiten des Lebens.
»Gottseligkeit« – niemand sagt dieses Wort mehr. Es klingt wie das Glöckchen am Heiligen Abend, wenn wir als Kinder das Weihnachtszimmer betreten durften, nachdem das Christkind und die Engel die Geschenke gebracht hatten und gerade wieder verschwunden waren.
„Gottselig“ bedeutet, in jeder Lage selig und getrost zu sein, weil wir in Gott geborgen sind. »Selig« ist nicht so laut und offensichtlich wie »glücklich«. Es ist eine stille Form des Glücks, die sogar in schweren Zeiten ausharren kann. Wer »gottselig« ist, kann auch im Schmerz, auch im Alleinsein Weihnachten feiern – und findet doch zur rechten Weihnachtsfreude.
Ja, wenn wir wirklich die Tür aufmachen für diesen König – die Tür unseres Wohlstandes für die, die leiden, die Tür unserer Sicherheit für die, die verfolgt sind, und die Tür unseres Herzens für die Hoffnung auf Jesu Eintritt –, dann wird der König auch zu uns kommen. Und viel eher zu uns nach Hause als in die Einkaufszentren und Weihnachtsmärkte der Städte und Dörfer! Viel eher an unser Bett - auch an unser Krankenbett - als in die Schaltzentralen der Macht in Berlin oder Paris oder Washington oder Moskau oder Peking. Wenn wir uns selber öffnen für die Hoffnung, wird sie wieder einziehen. Wenn wir Barmherzigkeit und Freude austeilen, werden sie auch in unser Herz einziehen. In eine geschlossene Hand – in eine Faust – kann man nichts reintun.
Einige Tage Adventszeit liegen noch vor uns. Ein paar Tage zum Vorbereiten, zum Aufspüren unserer Sehnsucht, zum Erwecken der Hoffnung, zum Ernstnehmen des Herrn über unser Leben. Tage mit Liedern, die uns fliegen lassen durch Zeit und Raum. Mit Geschichten, die das Kind in uns wieder aufstehen lassen. Mit Bildern und Figuren, die unsere Seele ins Freie locken. Ein paar Tage auf dem Weg, einen äußeren und inneren Weg, um dann in der Weihnachtsfreude die Gottseligkeit zu entdecken.
Gott kommt zu uns. Wir müssen nicht mehr zweifelnd nach ihm
fragen.
Gott kommt zu uns, um seine Gnade allen anzusagen.
Gott kommt zu uns und lässt uns wieder hoffen, denn sein Herz ist für alle
Menschen offen.
Gott kommt zu uns.
Amen.
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