2. Januar 2022

Wen weisen wir ab?

 *** Klaus Wollenweber war viele Jahre Gemeindepfarrer in der Ev. Kreuzkirchengemeinde Bonn; ab 1988 theologischer Oberkirchenrat in der Ev. Kirche der Union (EKU) Berlin (heute: Union Ev. Kirchen (UEK) in Hannover); ab 1995 Bischof der „Ev. Kirche der schlesischen Oberlausitz“ mit dem Amtssitz in Görlitz / Neiße  (heute: „Ev. Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz“ (EKBO)); seit 2005 im Ruhestand wohnhaft in Bonn. Häufig aktiv in der Vertretung von Pfarrerinnen und Pfarrern in Bonn. 

(Den ersten Teil der Predigt habe ich gestern hier eingestellt. Einfach eins runter scrollen...) Die andere Seite der Jahreslosung ist: Wenn wir in der Nachfolge Jesu Christi auf unser eigenes christliches Handeln blicken und über unsere Einladung „wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen“ nachdenken, dann wird allerdings schnell aus der so freudigen und verheißungsvollen Zusage der befreienden Nähe Christi eine schwierige, aktuelle Herausforderung an uns. Abgesehen von den Kontakteinschränkungen in dieser Covit-19 Krisenzeit ist es zwar nicht so schwierig, wenn Freundinnen und Freunde, wenn sympathische und geimpfte Menschen zu uns kommen; sicher werden wir sie dann nicht hinausstoßen, nicht abweisen. Aber wie steht es mit lästigen und unsympathischen Menschen, mit den Querdenkern? Wie reagieren wir, wenn die vor unserer Tür stehenden Menschen schlecht gekleidet sind und einen unangenehmen Geruch verbreiten? Wir können doch nicht unbeteiligt wegsehen, wenn Flüchtlinge mit einer anderen Hautfarbe und Sprache zu uns kommen! Geben wir sie nicht am liebsten weiter – persönlich weiter in die dafür vorgesehene Flüchtlingsunterkunft; politisch weiter in ein anderes Land oder gar zurück in ihre eigene Heimat?

Wenn wir zu Beginn des neuen Kalenderjahres immer noch die menschlichen Konflikte an der Grenze zwischen Polen und Belarus vor Augen haben, die Flüchtlingslager in der Türkei, auf griechischen Inseln, in Italien und Spanien, so werden gewiss im Laufe dieses Jahres noch andere Regionen der Erde im Mittelpunkt des Medieninteresses im Blick auf Flüchtlinge stehen: Über 80 Millionen Flüchtlinge bewegen sich in den Ländern unserer fünf Kontinente, die alle ankommen und nicht abgewiesen werden wollen! Menschen wollen u.a. ins christlich geprägte und wirtschaftlich gut gestellte Europa und nach Deutschland kommen – und werden abgewiesen. Ich muss die Bilder vom Mittelmehr und von den Notlagern jetzt nicht nachzeichnen; die Problematik ist sehr vielschichtig, kompliziert und uns hinreichend bekannt. Tatsache ist: Menschen werden abgewiesen; Türen bleiben verschlossen. In der gesellschaftlichen und globalen Wirklichkeit heißt das: Grenze dicht! Kein Durchkommen! Abweisung! Keine Hoffnung! – und das bedeutet: Elend, Hunger, Tod!

Diese Realität in unserer Welt ist das Gegenbild zur christlichen Jahreslosung, zu der Einladung Jesu Christi zum Kommen. Ja, das so genannte christliche Abendland mit uns hier jetzt Lebenden ist nicht nur politisch, sondern auch im Blick auf unseren christlichen Glauben herausgefordert. Ich fürchte, dass im Blick auf diese Flüchtlingssituation die Jahreslosung oftmals als reine Provokation verstanden wird und schnell wieder in der Versenkung verschwindet, - möglicherweise mit dem Hinweis: Dieses biblische Wort galt für die Zeit von Jesus damals, aber so nicht für uns heute; wir leben in einer anderen Welt, einer heute global und digital vernetzten Welt, in der bei uns die eigene Sicherheit und die Angst vor religiöser Unterwanderung durch den Islam vor der biblischen Forderung nach Gastfreundschaft rangiert. Mit so einem Argument verliert das Nachsinnen über die biblische Aussage schnell ihre Dringlichkeit, Bedeutung und Gültigkeit.

Wenn wir dennoch der Jahreslosung in diesem Jahr 2022 standhalten wollen, dann nehme ich wahr und halte für mich fest: Unser christlicher Glaube ist kein Spaziergang am Sonntagnachmittag im Sonnenschein, sondern immer neu eine arge Herausforderung für unseren Alltag. Ich muss mich doch selbst fragen: Wo ist die Tür, die mir aufgemacht wird, damit ich mich dort zu Hause fühle und geborgen bin? Wo darf ich hineingehen in dieser Corona-Pandemie-Situation? Wo bin ich abgewiesen, ausgeschlossen? Wem mache ich die Türe vor der Nase zu? Woher weiß ich, dass in dieser fremden Gestalt vor meiner Tür eventuell Jesus mit seiner Einladung steht? Weise ich ihn unerkannt ab? Traue ich meinem christlichen Vertrauen auf Gottes Liebe so wenig zu, dass ich vor anderen Religionen Angst haben muss? Fragen über Fragen an Sie und an mich, die ein biblisches Wort als Jahreslosung auslöst. Ein Jahr lang kann ich nun um Antworten ringen. Ich möchte Klarheit bekommen, warum die Einladung Jesu zum Kommen nicht zu erfreulichen Begeisterungsstürmen anwächst, warum sie so gerne überhört wird und sogar ungehört bleibt, warum man sie dann sogar abweist, auch wenn sie trotz allem ganz klar gehört und verstanden wird. Warum fühlen sich so viele Menschen wohl – zufrieden mit sich selbst – in ihren eigenen vier Wänden ohne Christus?

Ich habe noch keine die Welt rettenden Antworten, liebe Gemeinde. Aber ich sehe Lichtblicke, z.B. selbstlos handelnde Menschen, die die Einladung Jesu Christi für sich angenommen haben und diese nun in ihrem Alltag anderen weitergeben; z. B. Männer und Frauen, die im Mittelmeer Ertrinkende retten; Hilfsorganisationen, die Lebensmittel in notleidenden Flüchtlingslagern verteilen; Familien, die Flüchtlingskinder aufnehmen oder betreuen und ihnen bei den Schulanforderungen helfen; Menschen in vielen Ländern, die Geld sammeln oder spenden und so zur Linderung von Not nach Erdbeben und Taifun-Stürmen beitragen. Wir haben spontane Hilfe in den Gebieten nach Flutwasserkatastrophen erlebt. Ich denke auch an Nachbarschaften und Kirchengemeinden, die in dieser Corona-Pandemie-Krise den Menschen zur Seite stehen, die sich in Quarantäne befinden oder die in Lockdownzeiten Hilfe zum Leben brauchen. Ohne diese vielen Menschen, die gekommen sind und die Einladung Jesu Christi angenommen haben, sähe unsere Welt noch viel hoffnungsloser aus, sage ich.

Trotz aller Bedenken und Argumentationen halte ich jedoch in unserer religiös plural existierenden Welt daran fest: die Einladung Jesu Christi bleibt bestehen; sie hat ihre Gültigkeit als befreiende Botschaft für uns – vor allem in unserer Angst vor der Zukunft. Deshalb gilt sie für uns heute und morgen! Sie fordert uns mehr als nur ein Jahr lang heraus und schenkt uns die Möglichkeit zum immer neuen Nach-Denken über unsere Lebensweise mit unserem christlichen Glauben im Blick auf andere Menschen. Wir haben die Chance, mit Jesus zu sprechen: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen!“ Nutzen wir die Chance und wagen es mal, die Einladung anzunehmen, zu kommen und dann die Einladung anderen Menschen gegenüber auch auszusprechen und zu leben! Amen.

2 Kommentare:

  1. Wer andere einlädt, muß auch bereit sein, die Gäste durchzufüttern. Die Kosten auf die Gesellschaft abzuwälzen, ist einfach nur billig.

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  2. Klaus Wollenweber ist ein gastfreundlicher Mensch, und wenn ich mir die geschichte ansehen insbesodnere die Kolonialgeschichte, dann sind wir den meisten Ländern im Süden ein paar Dinners schuldig. Ich gehöre übrigens auch zu den Gesellschaft, also wälzen wir hier gar nichts ab. Wir sind nur bereit zu teilen bzw Schulden zu bezahlen. 90

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