8. Mai 2020

Texte für den Frieden - Reading for Peace

Heute am 8. Mai werden vor der Berliner Auferstehungskirche Texte für den Frieden gelesen? Kann man den Frieden herbeirufen?  Ihm mit Texten nachjagen? Ihn mit Worten beschwören zu bleiben? Ich weiß es nicht. Aber Worte haben ihre eigene Kraft, und man kann den Frieden sehr wohl mit Worten vertreiben. Mit Worten, die hetzen und verletzen, mit Schimpf und Lüge, voller Hass in jedem ihrer Buchstaben. Der Frieden ist sensibel und scheu. Wie ein Vogel. Nicht umsonst ist die weiße Taube das Symbol für den Frieden.  
Ein Friedensvers von Hilde Domin, einer deutschen Dichterin jüdischen Glaubens:
„Nicht müde werden
sondern dem Wunder
leise
wie einem Vogel
die Hand hinhalten".
--- 75 Jahre Frieden – Grund genug zu feiern, laut und glücklich.  Sollte man den Frieden nicht genauso laut feiern, wie der Krieg zu beklagen ist!? Aber ist denn überhaupt Frieden? In der Europäischen Union, in Europa, an den Grenzen Europas, auf der Welt?
Ich gestalte mit etwa 50 ehrenamtlichen klugen Menschen aus ganz Europa an der Evangelischen Akademie zu Berlin jährlich 14-15 Bibeldialoge, die meisten in Berlin, manche auch in Polen, in Rumänien, in Tschechien, Frankreich… und immer mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus den verschiedensten Ländern Europas.  Ganz Europa, also auch mit Menschen aus der Ukraine oder aus Bosnien. Manchmal, das erfahren wir dann in der Vorstellungsrunde:  auch aus Syrien oder dem Irak.
Meist vereint uns schon zu Beginn der Begegnung der große Wunsch nach einem friedlichen Beisammensein:  Das hilft, wenn nationale Unterschiede in Kultur oder Tradition zwischen uns stehen. Wenn wir gewohnt sind, die Bibel doch ganz anders zu verstehen. Es sind aber oft eben diese Texte der Bibel, die uns daran erinnern, dass wir Geschwister sind, die in Frieden miteinander leben sollen.
Und es ist diese persönliche Begegnung, die uns genauer hinschauen lässt, so dass die Feindbilder ganz blass werden. Der Mensch vor mir leuchtet so viel heller und eindrücklicher als jedes erlernte Vorurteil. Es ist das Gespräch von Angesicht zu Angesicht, das nachfragen lässt, wenn Verständnis noch schwer fällt. Die Fragen der Anderen verändern auch unseren Blick auf uns selbst, lassen vermeintliche Gewissheiten aufbrechen und geben Raum für Neues, das uns befreit und reicher macht.  Das klingt vielleicht nach etwas Großem, aber es sind ganz kleine Begegnungen: 20, manchmal 30 Teilnehmende, und es sind auch nur 4 gemeinsame Tage. Aber sie verändern etwas. In uns.
Europa ist für die Bibeldialoge größer als die EU, und es ist bei weitem nicht überall Frieden auf dem Kontinent, und erst recht nicht seit 75 Jahren. Und hier in unserem Land? Ist es Frieden, wenn Synagogen angegriffen wird? Wenn Musliminnen das Tuch von Kopf gerissen wird? Wenn Menschen fordern, notfalls die Alten und Kranken einem Tod durch Ersticken zu überlassen, damit die Wirtschaft nicht zu sehr leidet?
Bei den Bibeldialogen wird nicht versucht,  Angst und Zorn wegzureden. So mächtig sind unsere Worte ja nicht. Wir vertrauen der Begegnung von Mensch zu Mensch. Und Gottes Wort. Dieses Jahr fehlt uns die Begegnung. Unsere Brüder und Schwestern in den anderen Ländern dürfen nicht reisen, wir ja auch nicht. Was macht das mit uns? Wie bleiben wir auf Augenhöhe, wenn wir uns nicht mehr persönlich in die Augen sehen können?
Viele große Veranstaltungen sollten heute stattfinden, mit viel mehr als 50 Zuschauern aus aller Welt. Es hätte ein lautes und glückliches Fest werden können. 75 Jahre ohne Krieg in den Ländern der EU. Das soll nicht kleingeredet werden. Wenn wir die Geschichte Europas ansehen... Das muss ich gar nicht erläutern. Unsere dankbaren Lieder … hätten vieles übertönt, auch das Klagen der Menschen in Syrien, an den Grenzen zu Europa, auf dem Mittelmeer, in den Lagern in Nordafrika.
Ein Virus lässt uns heute leise sein, aber nicht weniger dankbar.
Europäische Bibeldialoge, wie wir sie kennen, finden zurzeit nicht statt. Im Blog vielleicht, auf Facebook, per E-Mail… zweidimensional. Aber vielleicht ist es ja genau das, genau die Prüfung, die uns näher bringen kann, die uns zeigen kann, dass uns mehr verbindet, als eine Landesgrenze zertrennen kann. Gottes Wort. 
Und der Heilige Geist weht ja bekanntlich, wo er will, also möglicherweise auch im Internet.
Wir werden also nicht müde und halten dem Wunder des Friedens vertrauensvoll die Hand hin.   

1 Kommentar:

  1. Liebe Tamara, herzlichen DANK für Deinen Beitrag. Es war sehr gut, Dich dabei zu haben, KD

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