*** The English translation to this text was posted a few minutes ago, please scroll down in the blog.
Jiri ist seit vielen Jahren im Team der Studientagung für Theologiestudierende. Als Student hat er anfangs selbst teilgenommen.
Wie Sie wissen, war Jesus dafür bekannt, dass er das Reich
Gottes verkündete und dies häufig in Gleichnissen tat, die sich am Alltagsleben
der kleinen Leute orientierten. Mit Hilfe der Bilder aus dem Leben probierte
Jesus den Leuten das Reich Gottes nahe zu bringen und die Verhältnisse im
Gottesreich den Leuten zu erklären. Eines der Lieblingsmotive Jesu – der für
seine häufige Teilnahme an Festmahlen bekannt war und den man darum mit Spott
Fresser und Säufer nannte – war, das Reich Gottes mit einem grossen Festmahl zu
vergleichen. Dieses Bild spricht mich – nach der Zeit des Social Distancing – besonders an, denn ich habe in der letzten Zeit
vor allem die Gemeinschaft vermisst, dass Teilen, Mitteilen, die Nähe. Sie
wahrscheinlich auch. Aber ich will heute ein anderes Motiv ins Visier nehmen,
das Jesus gebraucht, um das Reich Gottes zu beschreiben, die Gleichnisse von
Saatkorn. Da sie uns aber allzu vertraut sind, ist es schwieriger für uns, zu
hören, was Jesus mit diesen Worten sagen wollte. Darum habe ich mir die
Freiheit genommen und sie umgedichtet und aktualisiert.
Wie sollen wir das Reich Gottes abbilden? In welchem
Gleichnis sollen wir es darstellen? Mit dem Gottesreich ist es wie mit einem
Virus. Es ist sehr klein, so dass man es mit den Augen nicht sieht, doch es hat
die Macht, Grosses zu bewirken. Es hat es die Fähigkeit, von einer Person auf
die andere überzuspringen und sich schnell zu verbreiten, so dass es die ganze
Welt in seinen Schatten stellt. Es wirkt manchmal im Verborgenen, manchmal
hinterlässt es sichtbare Spuren. Und auch, wenn man es ihm nicht zutrauen
würde, kann es das Leben der Menschen radikal verändern, bereits jetzt, nicht
erst dann, wenn es mit voller Wucht kommt.
Etwa so könnte das aktualisierte Gleichnis von dem Senfkorn
klingen, wenn Jesus es heute erzählen würde. Vielleicht runzeln Sie die Stirn:
würde Jesus wirklich so etwas sagen? Ich denke schon, denn er zog es vor, zu
provozieren, unmoralische oder problematische Bilder zu benutzen, um über
Gottes Reich zu sprechen. Denken Sie nach: das eine Mal vergleicht er sich bzw.
das Reich Gottes mit einem Dieb, der in der Nacht kommt, das andere Mal lobt er
diejenigen, die Gelder hinterziehen oder sich auf unehrliche Art und Weise
bereichern, um zu zeigen, was das kommende Reich Gottes wert ist und um die
Leute zu einer Entscheidung, Meinungsänderung zu provozieren, an dem Reich
teilzuhaben.
Lassen wir uns mal auf die aktualisierte Version des
Gleichnisses ein. Wir alle haben in den letzten Wochen erlebt, wie schnell,
dramatisch, überraschend sich unsere Welt, unser Leben innerhalb von kürzerer
Zeit verändern kann. Wegen einem kleinen Virus, das zuerst sehr weit weg war
und das nur ein paar Leute infiziert hat, wurde nach und nach eine Stadt nach
der anderen, das eine Land nach dem anderen in Quarantäne versetzt, Geschäfte,
Kirchen, öffentliche Plätze wurden geschlossen, Ausgangssperren ausgerufen, die
Personenfreizügigkeit weltweit beschränkt, der Flugverkehr stillgelegt. Ein
Virus, das nicht nach viel ausgesehen hat, hat in kürzester Zeit das Leben von
Millionen, ja Milliarden von Menschen auf den Kopf gestellt, die Pfeiler
unserer Wirtschaft und Gesellschaft erschüttert, Werte unserer Welt und unseres
Lebens hinterfragt und uns bewegt, plötzlich anders zu denken, zu leben, zu
handeln. Das, was vor einigen Wochen noch so wichtig, so dringend, so aktuell,
so fest schien, wurde unwichtig, unwesentlich, sekundär, in Frage gestellt,
umgeworfen und musste überdacht werden. Dafür hatten wir – wie seltsam für
unser Leben – einmal mehr als genug Zeit.
Und genauso wie mit dem Virus verhält es sich auch mit dem
Reich Gottes, das Jesus verkündet und verkörpert hat und das – im Gegenteil zu
einem Virus – in erster Linie positive Konnotation weckt, obwohl auch das Reich
Gottes seine Schattenseite hat: das Gericht nämlich. Jesus kommt in die Welt –
in seine, so wie auch in unsere – mit der Botschaft, dass Gott vor der Tür
steht, dass Gott uns und die Welt verändern will, dass er dem Hass, Neid, der
Unterdrückung, der Ausbeutung, der menschlichen Entfremdung ein Ende bzw. dazu
ein Gegenmodell setzen will. Er tut es ansatzweise in den Worten und Taten
Jesu, die dazu gedacht sind, uns zu zeigen, was in der neuen Welt, die von Gott
kommt, in der Zukunft – ja sogar in der ewigen Zukunft – wirklich zählt: nämlich
Liebe, Vergebungsbereitschaft, Selbsthingabe, die uns Jesus vorlebt – bis
zuletzt. Sie sollen uns als Illustrationen dessen dienen, was Gottes Willen
entspricht, was er sich von uns Menschen verspricht, was er für uns und unser
Zusammensein – untereinander und mit Ihm – will und plant. Und auch wenn es am
Anfang noch nicht nach viel aussieht, auch wenn viele es nicht annehmen oder
wahrhaben wollen, wenn sie sich der Macht der vergebenden Liebe, die Reue als
eine Stärke und keine Schwäche betrachtet, verschliessen, fängt dieses neue
Modell Gottes, dieses Keimen seines Reiches schon jetzt an, unter uns und in
der Welt zu wirken und die Welt zu verändern – genauso wie ein Virus.
Gut, das Reich Gottes verbreitet sich nicht so schnell wie
das Virus, aber es verbreitet sich trotzdem. Langsamer, weil es im Gegenteil zu
einem Virus nicht aggressiv ist, aber sicher, bis es die Menschen ansteckt, in
ihrem Inneren Platz gewinnt und anfängt zu wirken. Denn nicht nur ein Virus,
nicht nur das Böse ist ansteckend, sondern auch das Gute. Nicht nur das Böse
hat enorme Kraft, die Welt und das Leben der Menschen zu bestimmen, zu
verändern, zu beherrschen, sondern auch das Gute. Nicht nur das Böse fängt im
Kleinen an, sondern auch das Gute, das stärker ist als jede Macht der
Zerstörung. Die Botschaft Jesu von der vergebenden Liebe Gottes, die auch denen
gilt, die verloren sind, die alle einlädt, ihr Leben, ihr Denken zu überdenken
und sich neu zu orientieren und die eines Tages in Fülle kommen wird, ist bis
heute noch aktuell, wirksam und erfahrbar – auch für uns, auch unter uns. Gegen
sie wirkt kein Impfstoff und nicht einmal das menschliche Versagen kann ihr
Einhalt gebieten.
Mit seinem Gleichnis lädt uns Jesus ein, dieser Macht zu
vertrauen und uns ihr ganz und voll anzuvertrauen, im Glauben und in der
Hoffnung, dass sie Früchte bringen wird. Dass sie stärker ist als die Macht des
Bösen und der Zerstörung und dass sie schon jetzt – obwohl häufig im
Unsichtbaren, im Kleinen – unter uns wirkt. Wir müssen ihr nur in uns und unter
uns Raum geben – wie einem Virus – denn sie hat die Macht in sich, uns und die
Welt zu verändern und Grosses zu bewirken. Zum Besseren, wohl bemerkt. Denn das
Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit, Frieden und
Freude im heiligen Geist. (Rom. 14:17 ZUR) Und wiederum sprach Jesus und sagte:
Womit soll ich das Reich Gottes vergleichen? „Es ist einer Seuche gleich,
die sich unaufhaltsam ausbreitete, bis alles durchseucht war. (Variation
zu Lk 13:20-21 ZUR)
Pfr. ThDr. Jiri Dvoracek
Ich habe in der Zeit des Lockdown insofern in einer sehr priviligierten Situation gelebt, da ich in einer Gemeinschaft lebe. Immer wieder kamen Menschen zu uns, die das alleine auf sich verwiesen sein nicht ausgehalten haben und dadurch in psychische Extremsituationen geraten sind. Mir gefällt diese modernisierte Gleichnisfassung vom Virus gut im Hinblick auf das Überspringen und die Verbreitungsgeschwindigkeit. Wo der Vergleich mit dem Virus hinkt, das ist der Punkt der Freiwilligkeit, denn die Infektion mit dem Corona-Virus wünscht sich niemand. Danke für den Denkanstoß.
AntwortenLöschenIch stimme vollkommen zu, dass sich niemand und – hoffentlich wenigstens in unserem Innersten – auch wir niemandem eine Infektion mit dem Corona-Virus wünschen. Ich bin jedoch nicht überzeugt, dass das Reich Gottes stets auf freiwilliger Basis eintritt. Wie oft haben wir in letzter Zeit gehört, dass man doch schnell zur "Normalität" zurückkehren möge oder die Idee gelesen, dass sich doch möglichst viele Menschen schnell anstecken möchten, damit das Ganze auch schnell wieder vorbei sei. Wie oft, handkehrum, zürnen wir unserem Gegenüber, das uns real oder vermeintlich Unrecht getan hat, gerne noch etwas länger anstatt zu vergeben? Wie oft beharren wir darauf, dass unsere Mitmenschen den ersten Schritt tun müssten, nur um uns etwas Recht zuzusprechen, wenn es die anderen schon nicht tut? Ich bin nicht sicher, ob wir jederzeit bereit sind für das Reich Gottes, ob wir bereit sind, alle Änderungen, die es mit sich bringt, freiwillig anzunehmen. Vielleicht müssen wir davon infiziert werden, wie von einem Virus
LöschenIch denke da auch an Paulus, der - noch als Saulus - nicht gerade freiwillig zu Christus fand. Der eigentliche Unterschied ist für mich, dass es gute Gründe gibt, dem Virus Corona auszuweichen und dass Gottes Gnade immer ein geschenk ist, das man sich und anderen nur wünschen kann - manchmal mag es sein,d ass es sich nicht gleich so anfühlt,wie ein schönes Geschenk - sieht Saulus/Paulus. Ich denke auch, dass ein bisschen angst machen kann (oder auch große angst) zu begreifen, was für eine Gnade man da erfährt und welche Konsequenzend as haben könnte... ich danke für die Anregungen und Gedanken. Tamara
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