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Bernadette ist seit ein paar Jahren Teilnehmerin an den
Bibeldialogen vor allem im europäischen Ausland. Zurzeit ist sie selbst in Edinburgh.
Ich schätze ihre Art, die Dinge zu sehen: anders, manchmal ein bisschen irritierend,
aber doch hoffnungsvoll. Ihren Beitrag zum Adventsblog will ich in zwei Teilen
heute und morgen posten. Heute Bernadettes Blick auf den Advent, wie wir ihn
sicher auch alle aus vergangenen Jahren kennen oder ersehnen. Morgen dann zum Advent dieses Jahr,
wie sie diese Zeit in Edinburgh erlebt.
Was ist Advent für mich?
Zuerst einmal die Zeit im Jahr, in der jeder Tag die Kraft
hat, zu Poesie zu werden, wirklich jeder Tag, ein Tag nach dem anderen, wie
Perlen auf einer Perlenkette, bis zur Christnacht: Advent ist die tägliche
Möglichkeit der Verwandlung der Stunden des (All)Tages in die richtige Welt, in
die Welt der Erzählung. Woher kommt die Kraft dazu? Es ist die Erfahrung
des Kreislaufes der Zeit: Jetzt geht es wieder los, so liegt es einem im
Inneren wie eine große Verheißung. Jetzt geht es wieder los mit dem
Vorbereiten. Mit dem Vorbereiten des Festes. Ankommen des Lichtes. Es wird
kommen. Christ wird geboren werden.
So beginnt der Advent vor allem mit dem Wissen, was kommt:
Kälte, Dunkelheit, Nässe, Mützen, Handschuhe, Straßen- und Fahrradlampen
einerseits, ja klar; doch anderseits: Zusammenrücken, Zusammenkommen um einen
Tisch, Papier, Stifte, Klebstoff, Wollfäden, Kerzenflammen, Nüsse, Teetassen
und Honig. Auf einmal sind alle am Nachmittag daheim und suchen die Runde um
den Tisch. Es ist die Erinnerung an befriedete Zeit am selben Tag ein Jahr
zuvor, und das Jahr davor und davor und davor. Die Sicherheit, dass diese Zeit
wiederkommen wird, gleich, rutscht von allen Geräuschen in der Wohnung durch
die Ohren in die Hände und Füße hinab. Gleich wird es losgehen. Es braucht
scheinbar nur noch dieselben Utensilien wie letztes Jahr.
Und so laufen alle Kinder in der Wohnung durcheinander,
aufgeregt, besorgen alles und dann geht es los: Ein Gedicht, ein Märchen, ein
Lied, ob Bach oder Pumuckl ist ganz gleich. Es ist derselbe Klang, dasselbe
Gedicht, dieselbe Erzählung wie das Jahr zuvor, wie alle Jahre zuvor. Einer
spricht es für alle. Die Lippen aller sprechen es mit, während die Hände mit
Stiften und Scheren hantieren, mit Klebstoff und Perlen, mit Draht und
Laubholz. Alle Gesichter werden gleichermaßen von denselben Kerzenflammen
erflackert und durchzuckt. Die Vorfreude auf die nächste Zeile, die jeder
auswendig kennt, ist sogar noch größer als die an der Zeile, die gerade dran
ist. Man weiß nicht wie, man kann sie plötzlich alle.
In der Sicherheit der Geschichten, die sich um Schnee und
Eis, Hunger und Frieren, Wünschen und Zwang, Feuer und Schmelzen drehen, die
von genau dem erzählen, was am Tag geschehen war, drängen sich alle vergangenen
Wintertage in Wohnzimmer und Küche. Und, Überraschung, die gesamte Fülle ihrer
Menge passt hinein. Jeder am Tisch ist mit allen seinen Adventstagen des Lebens
anwesend. So viel Zeit kreist sich um den Tisch, dass der Raum sich gelassen
zusammenziehen kann.
Jedes kleine Kind weiß, wie es riechen soll am Samstag vor
dem 1. Adventssonntag in der Küche. Und da ist er, der Geruch nach Zimt, Anis
und Bittermandelöl. Plötzlich weiß jeder, wo die Ausstecherchen sind, die
Nudelrolle und das zweite Backblech, das ganze Jahr über verlassen irgendwo
vergessen. Das Wissen um den Geruch des letzten Jahres lässt denjenigen, der
jetzt aus der Backschüssel aufsteigt, genau richtig sein, köstlich und intensiv.
Zimt, Honig und Zitronenschale.
Die Sinne haben nicht die große weite Welt vor sich, nur die
bekannten Gegenstände der kleinen Wohnung, eine Schachtel im Universum; doch
befrieden und ergötzen sich alle gemeinsam an Klang und Geräusch, Geruch, Back-
und Kachelofenwärme. Die Wiederholung des Gewussten macht das Erleben desselben
noch schöner. Plötzlich kann jeder Stift, der abbricht, angespitzt werden.
Manche Sterne gelingen wie manche Kekse einfach besser als andere. So ist es.
Man wendet sich dem Schönsten zu und genießt. Der Advent ist Rückkehr ins Gewusste,
Rückkehr des Jahres zu seinem Anfang, eine Zeit, in der die volle Möglichkeit
besteht, nichts außer Poesie und Schönheit zu bewirken und daran genug zu
haben.
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